Stell dir vor es ist Wahl - und jeder geht hin
Erst mal vorneweg: Nichtwählern kann niemand einen Vorwurf machen nicht wählen zu gehen. Jemand, der keine Lust hat wählen zu gehen, seine Zeit dafür zu opfern, weil er nicht an ein System glaubt in dem sich ja doch nichts zum Guten ändert, der hat eigentlich doch gar nicht mal so unrecht, sich die Stimmabgabe einfach zu sparen. Wenn wir mal ehrlich sind ist es heutzutage doch völlig egal ob die Regierung die Marke SPD, CDU, Grüne oder FDP trägt. Außerdem ist Stimmenthaltung ein demokratisches Grundrecht. Und wenn unsere Parlamentarier sich einer Stimme enthalten dürfen, dürfen wir das ja schon lange. Oder?

Mir ist da aber letztens was schönes eingefallen: Stell dir vor es ist Wahl - und jeder geht hin.
Klingt komisch? Ist es auch. Warum?

Sehen wir uns doch mal das Ergebnis der letzten Bundestagswahl an. Ich hab mir jetzt mal weil es so schön einfach ist Wikipedia als Quelle genommen. (http://de.wikipedia.org/wiki/Bundestagswahl_2009)

CDU/CSU 33,8%
SPD 23,0%
FDP 14,6%
Linke 11,9%
Grüne 10,7%
Andere 05,0%
Rundungsfehler 01,0%

Wir hatten eine Wahlbeteiligung von ca. 70% (Wikipedia sagt 70,78%), was wohl nicht ohne Grund die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Bundesrepublik gewesen ist. Davon ziehen wir mal die ungültigen Stimmen ab. Die werden nämlich gar nicht gezählt (und ja, die 634.385 Leute hätten sich den Gang zur Urne sparen können). Dann kommen wir auf eine echte Wahlbeteiligung von ca. 69,8%.

Und was sagt uns das? Na, dass unsere Regierung von sage und schreibe 49,4% derjenigen gewählt worden ist die zur Wahl gegangen sind und nicht zu blöd, ungeschickt oder bockig gewesen sind den Wahlzettel auszufüllen. Klingt logisch, oder?

Aber wie groß ist jetzt der Prozentwert, wenn wir so tun als ob alle die wählen durften es auch getan hätten? Ich tu jetzt mal so als hätten diese Leute irgendwen anders gewählt als die Parteien die da oben stehen. Wenn alle gewählt hätten wären unsere jetzigen Regierungsparteien (Union & FDP) von sage und schreibe 34,5% ausgesucht worden. Da wären die aber ganz bestimmt keine Regierung mit geworden.

In Kurzform: Unsere Regierung wurde eigentlich von gerade mal 34,5% der Leute gewählt! Ist doch lustig, oder?

Ich tu jetzt mal so und rechne spaßeshalber die SPD dazu. Auf CDU/CSU, SPD & FDP zusammen kommen dann insgesamt 49,8%. Ja menno. Immer noch nicht mehr als 50% Zustimmung. Ich rechne jetzt noch die Grünen dazu. Dann müsste es ja reichen: 57,3%.
Mit den Linken will ja keiner spielen. Da spar ich mir das Einrechnen einfach mal.

Also nochmal die Frage von vorhin: Stell dir vor es ist Wahl - und jeder geht hin. DIE Koalitionsverhandlungen möchte ich sehn! (lol)

Es stimmt ja irgendwie schon. So wie es läuft ändert sich gefühlt nix. Weder ändert sich was, wenn man für eine der vier Regierungsparteien der letzten 30 Jahre stimmt. Noch ändert sich was, wenn man nicht wählen geht oder irgendeinen sinnlosen Unfug auf den Stimmzettel malt; der Unfug wird nämlich gar nicht gezählt.

Es stimmt aber auch, dass jemand der kein Interesse daran hat etwas für einen zu tun, erst dazu gebracht werden muss etwas für einen zu tun, damit er es dann auch tut.
Und wenn unsere vier Regierungsparteien kein Interesse daran haben Bankenrettungen nicht auf unserem Rücken auszutragen, wenn sie eine "marktkonforme Demokratie" haben wollen, wenn denen gerechte Renten- und Gesundheitssysteme egal sind, wenn Löhne vollkommen in Ordnung sein sollen zu denen man zusätzlich Hartz IV beantragen muss um nich zu erfrieren oder zu verhungern, ja mei, dann muss man die halt dazu bringen nochmal drüber nachzudenken. Und wie bringt man Parteien besser zum Nachdenken, als wenn man ihnen die Zustimmung entzieht?

Wenn jeder wählen gehen würde, und zwar ehrlich wählen würde...
Wenn man nicht mehr das kleinere Übel wählt sondern das NICHT wählt was man für übel hält...
Wenn man den vier Regierungsparteien Prozente abnähme indem man munter DIE PARTEI, DIE VIOLETTEN, die Tierschutzpartei, die Piraten, NEIN!-Idee, FREIE WÄHLER oder die Partei der Nichtwähler wählen würde...
Wenn Union, SPD, FDP & Grüne zusammen insgesamt gerade mal so im Wahlergebnis 60% kriegen würden und es deswegen mit der Angst zu tun bekämen...
Würde sich dann immer noch nichts ändern?

Ich geh jedenfalls wählen. Viermal darf man raten wen nicht.

DIE PARTEI
http://www.die-partei.de/
DIE VIOLETTEN
http://de.wikipedia.org/wiki/Die_Violetten
die Tierschutzpartei
http://www.tierschutzpartei.de/
Piraten
http://www.piratenpartei.de/
NEIN!-Idee
http://www.nein-idee.de/
FREIE WÄHLER
http://www.freiewaehler.eu/startseite/
Partei der Nichtwähler
http://www.parteidernichtwaehler.de/




ostbar am 15.Aug 13  |  Permalink
Ich stimme dir voll zu. Gute Überlegungen. Nicht wählen und stattdessen meckern, daß Politik sowieso Mist sei, ist undemokratisch und auch unfair all denen gegenüber, die sich bemühen.
Aber bei dem Trauerspiel, das unsere Politik in den letzten Jahren verzapft hat, kann man auch jeglichen Mut verlieren, oder?
Ich will wählen, aber wen?! Dein Ratespiel teile ich voll, aber im Ausschlußverfahren zum Kreuz zu kommen, erscheint mir auch wenigstens sehr zweifelhaft.

tingel am 11.Sep 13  |  Permalink
Enthaltung ist Grundrecht
Moin,

danke für deinen Zuspruch. Aber ich halte Enthaltung und damit auch ein Fernbleiben von der Wahl für ein demokratisches Grundrecht. Ich seh darin auch nichts unfaires.

Ich hab nix gegen Nichtwähler - ja ich verstehe sogar voll und ganz wenn jemand keinen Sinn darin sieht oder aus anderen Gründen wegbleibt: Nichtwählen ist moralisch, rechtlich und menschlich legitim.

Nur Nichtwählen bringt eben nix. Und wenn man der Wahl fernbleibt weil man enttäuscht ist von "denen da oben" ist einem eben doch besser damit gedient ne Proteststimme abzugeben. DIE PARTEI is perfekt dafür. Ich werd die zwar nich wählen, aber ich find die schon super. Jetzt wo ich die auch verstehe :)

vatervongott am 16.Aug 13  |  Permalink
klasse
du sprichst mir aus der seele

tingel am 11.Sep 13  |  Permalink
Danke schön
:)

am 27.Aug 13  |  Permalink
Es gäbe eine bürgerlich-demokrat. Alternative
Hallo Tingel, ich habe Deinen Blog via deines Kommentars bei Zeit-Online ('wer nicht wählen will, soll zahlen' der Pseudo-Demokraten-Journalisten Herr & Speer) gelesen. Ich teile Deine Meinung und Deine statistische Einschätzung. Ich war bis Februar 2013 der Meinung, vom aktiven Wähler zum aktiven Ungültig-Wähler zu wechseln. Allerdings habe ich mich dann der neu gegründeten Alternative für Deutschland (www.alternativefuer.de) angeschlossen und mache aktiv im Wahlkampf hier im Saarland mit. Ich würde Dich und die Leser bitten, die AfD zu youtuben, facebooken und zu googeln und Dir ein Bild über sie zu machen. Sie besteht aus normalen, gefrusteten Bürgern wie Dir und mir. Ich hänge hier im Saarland seit längerem Plakate aus und verteilte über 2500 AfD-Flyer in Briefkästen und ich hoffe, Bürger wie Dich dazu zu bringen, zumindest mal über eine Protestwahl im Sinne der AfD nachzudenken. Allein die Attacken, die journalistisch und mittlerweile sogar mit körperlichen Attacken gegen AfD-Mitglieder seitens der CDU, SPD, B90/Grüne die Linke und der harten linken Extremisten gegen die AfD im Wahlkampf geritten werden, zeigt, dass die AfD richtig liegt und unterstützt werden sollte. Ich will Dich nicht beeinflussen, aber ich habe mich bei der Bundestagswahl klar für die AfD mit beiden Stimmen entschieden, weil der Rest auf dem Zettel einfach blander Müll ist.

tingel am 11.Sep 13  |  Permalink
Nee, sorry
Ich halte relativ wenig von der AfD (ohne mich eingehend mit der befasst zu haben muss ich ehrlicherweise gestehen).

Aber wenn ichs richtig sehe, steht die AfD doch in erster Linie für ne Rückkehr zur D-Mark und der rechtlichen Abkoppelung Deutschlands vom europäischen Binnenmarktraum.

Nee du, die Rückkehr zur guten alten D-Mark kostet nur Geld. Die Kohle muss umgedruckt werden, ein Wechselkurs muss bestimmt werden, Börsen müssen umgestellt werden, Buchhaltungen müssen schon wieder in ne andere Währung geschrieben werden und unterm Strich werden Komma-Beträge, genauso wie bei der Euro-Einführung eher zu Ungunsten des Verbrauchers ausgelegt.

Und was die rechtliche Abkopplung vom europäischen Binnenmarktraum angeht: Ich halte Europa für ne super Sache. Ich halte auch einen gemeinsamen Wirtschaftsraum für ne gute Sache. Und ich mag mal ehrlich bezweifeln, dass eine Abkopplung einen tatsächlichen Nutzen hätte.

Schon klar, man könnte eiskalt und schulterzuckend zusehen wie Länder wie Griechenland, Portugal, Irland und Spanien einbrechen ohne Angst um die eigene Währung zu haben.

Aber billiger kommt uns das schon mal gar nich. Völlig egal ob wir in Deutschland den Euro oder die Mark haben wird uns das ganz dolle fiese wehtun, wenn "wir" nix mehr an Griechen, Spanier & Portugiesen verkaufen können. Und verkaufen können wir nur wenn die Kredite aufnehmen.

Hätte man die Krisenländer ordentlich abgewickelt anstatt deren Investoren zu retten, wär die Geschichte für Otto Normalmensch auch gar nich so teuer geworden. Aber nee, Man musste ja einen Kreditmechanismus bauen, indem die EZB Kredite zum Quasi Nullzins an Banken rausgibt, damit diese Banken Kredite zu Wucherzinsen an Griechenland und Co. vergeben. Ein Schuldenschnitt oder ne zinslose Stundung unter der Bedingung der Sanierung der Staatshaushalte auf der Einnahmenseite wär da irgendwie schon billiger gekommen, oder? So nachm Motto "Liebe Griechen, jetzt schmeißt mal nich gleich alle Leute auf die Straße, das macht eure Wirtschaft nur kaputt. Nee nee, aber wir lassen da mit uns reden, wenn ihr eure ganzen Steuerbetrüger zur Kasse bittet."

Nee du, um uns halbwegs vor solchen Marktquerelen abzusichern gibbet in meinen Augen aus deutscher Sicht nur drei gemeinsame Mittel:
1. Aufbau eines funktionierenden, vom Export (bzw. europäischen Binnenhandel) auch relativ unabhängig funktionierenden deutschen Binnenmarktes - was nur geht, wenn die Menschen in Deutschland genug verdienen um auch wieder genug ausgeben zu können.
2. Wandel unseres - eigentlich gar nich mal so schlechten Wirtschaftssystemes - weg von kreditbasierter Finanzierung, hin zu einlagenbasierter Finanzierung: Wer was haben will muss die Kohle halt haben anstatt einen Kredit abzuschließen.
3. Anpassung des Finanzssystems an realwirtschaftliche Gegebenheiten. Es kann doch mal ehrlich nich sein, dass ein gut funktionierendes, wirtschaftlich stabil, nur eben nich jährlich zweistellig wachsendes Unternehmen in die Pleite getrieben wird, weil ein paar Analysten in Derivatshandel und Pleitewetten größere Gewinnmöglichkeiten sehen. Damit werden alle Investoren weggelockt weil die eben woanders mit einer Wette mehr Geld verdienen können, als wenn die Kohle in ein Unternehmen pumpen, das sich damit erneuert, Arbeitsplätze schafft und erweitert.

Abgesehen davon is mir die AfD in Fragen ganz anderer Probleme noch als blind bekannt (soziale Sicherungssysteme, Rentenvorsorgen, Kranken- & Pflegeversicherungen, Arbeitsplatzerhalt ohne einseitige Belastung der Arbeitnehmer, Energiewende...)

Sorry, für mich eben inhaltlich leider nich wählbar. Und als reine Protestpartei is DIE PARTEI halt doch besser aufgestellt ;)

Daran kann auch nichts ändern, dass ein paar Schläger meinen sie müssten auf die AfD losgehen. Damit verscherzen sich bei mir die Schläger Sympathien. Aber deswegen wähl ich doch nich die AfDler...

Trotzdem toitoitoi. :)